Ohne Titel, 1998

Wolfgang Troschke steht künstlerisch zwischen Forschung und Lehre und versucht auf beiden Wegen, Gefundenes, Erfahrenes, Erforschtes in Reihen, Serien, Systeme und Ordnungen zu bringen, die nicht zwanghaft gebildet werden, sondern Überraschungen beinhalten und Unerwartetes entdecken lassen: Der Schock, der auftritt, wenn Unerwartetes plötzlich sichtbar wird, das Zittern über Wiederentdecktes, wenn sich die alte Sichtweise verändert, weil sich die Strukturen und Randbedingungen des Sehens verändert haben. Fast scheint es, als wären Troschkes Bilder eine merkwürdige Wiedergabe anderer Bilder, die er erlebt, gedacht, geträumt oder früher geschaffen hat. Er sucht durch seine Bilder nach Positionen und Überzeugungen, nach den Strukturen und Randbedingungen seines Sehens. Diese Suche ist im Sinne eines imaginären Fadenkreuzes oder vorher festgelegter Koordinaten nicht bewußt oder gezielt, denn hier spielen Sinnlichkeit und Emotion eine zumindest ebenso große Rolle wie Geist und Intellekt. So entstehen bildnerische „Sammlungen„, die der Künstler im Augenblick des Sammelns bzw. ihres Entstehens wieder aufs neue untersucht – oft, indem er zugleich weitersammelt und der Fluß dessen sich zu neuen Erkenntnissen verdichtet: Erkenntnisse in Form von Zeichnungen und Bildern. Der Drang nach neuer Erkenntnis treibt zu ständiger Weiterarbeit, ständigem Handeln, Schaffen, Suchen und Sammeln. Es gleicht damit dem Drang nach unerfüllbaren Wünschen. Durch diese Einstellung, die einerseits gefühlsmäßig, andererseits aber rational gegründet ist, setzt sich Wolfgang Troschke von der reinen, autonomen Abstraktion ab und schafft im Sinne einer modifizierten Wirklichkeitsdefinition realistische Bilder – Bilder einer anderen Realität. Diese Form von Realismus zu akzeptieren und ihn überhaupt zu erkennen, fordert den Betrachter zur Überprüfung seines eigenen Wirklichkeitsbegriffes und der uns im allgemeinen angebotenen Klischees von Scheinwirklichkeiten auf, deren unreflektierte Akzeptanz auf dem direkten Weg zum (verbreiteten) Vorurteil führt. Die Kunst von Wolfgang Troschke ist keine erdachte Kunst. Sie ist eine realistische Kunst in einer Form, die das Denken über Realität anregt und selbst ohne dieses Denken nicht denkbar ist. Und zugleich bleibt sie eine gefühlte, erahnte, erlebte, empfundene Kunst, die alle Formen von Wirklichkeit erfahrbar und neu erlebbar macht.

Andreas Beaugrand